Berichte aus alter Zeit
Als das Licht nach Dettingen und Großwelzheim kam
Helmut Winter
Zu den Erfindungen, die das Leben der Menschen deutlich verändern, zählt zweifellos die Elektrizität.
Wie kam noch Ende des 19. Jahrhunderts „Licht“ in die Häuser und Straßen? Das hauptsächliche „Medium“ für die Hausbeleuchtung war zunächst der Kienspan, der rußte und nur ein trübes Licht verbreitete. Es folgte die von Rüb- oder Rapsöl gespeiste Ölfunzel, die von der ebenfalls geruchsintensiven Petroleumlampe abgelöst wurde. Bei der Straßenbeleuchtung kamen Petroleum- oder Gaslampen zum Einsatz. 1896 vermerkt die Gemeinderechnung noch die Anschaffung von 2 neuen Lampen und einem Fass Gas für die Ortsstraßen.
Die Gewerkschaft Gustav
Dettingen und Großwelzheim profitieren schon sehr früh von der Elektrifizierung. Grund war die Ansiedlung der „Gewerkschaft Gustav“, die mit der Förderung von Braunkohle und der Inbetriebnahme der Brikettfabrik zunächst mit drei Generatoren Eigenstrom erzeugte und ab 1906 mit dem Ausbau der Kraftzentrale zwei weitere Generatoren installierte, um Unternehmen in der nächsten Umgebung mit Strom versorgen zu können. Bereits 1908 werden über 300.000 kWh pro Jahr an das nahe Umfeld abgegeben. 1909 ging ein neues, größeres Elektrizitätswerk in Betrieb.
Voraussetzung für die Stromversorgung war natürlich der mit dem wachsenden Bedarf einhergehende gleichzeitige Aufbau von Stromnetzen. Schon 1910 wird eine 3.000-Volt-Leitung zur Stromversorgung der Gemeinde Kahl und der dort befindlichen zwei Sägewerke errichtet. Zur Deckung des Strombedarfs der Stockstädter Zellstoff- und Papierfabrik wird im Mai 1909 eine 20.000-Volt-Fernleitung von der Kraftwerkzentrale nach dem Stockstädter Werk gebaut. An diese Trasse erfolgt auch der Anschluss der Gemeinden Großwelzheim, Dettingen und Kleinostheim. Die Fernleitung wird 1911 nach Abschluss von Stromlieferungsverträgen mit der Aktiengesellschaft für Maschinen-Papierfabrikation und der Stadt Aschaffenburg, die ihr eigenes Kraftwerk stilllegt, nach Aschaffenburg-Damm erweitert. Von dort aus wird der Strom mittels Kabeln den Verbrauchsstellen zugeführt.
Der erste Betreiber: Dipl.-Ing. Emanuel Freund
Schon beim Bau der sogenannten „Überlandzentrale“ ist im Protokollbuch des Dettinger Gemeinderates vermerkt: Bezüglich der Einführung des elektrischen Lichtes und Anschluss an das zu erbauende Elektrizitätswerk der Gewerkschaft Gustav sollen die hiesigen Einwohner eine unverbindliche Voranmeldung erhalten, behufs Feststellung des Stromverbrauchs in hiesiger Gemeinde. Zu welchem Ergebnis diese Bedarfsabfrage geführt hat, ist nicht übermittelt. Wie immer geht es bei der Diskussion im Gemeinderat um die Kosten. Elektrischer Strom ist teurer als Petroleum und Gas. Und so lehnt die Gemeinde Dettingen durch Beschluss vom 6. März 1909 die Einführung des elektrischen Lichtes in den gemeindlichen Gebäuden und Straßen der hohen Kosten halber ab. Aber die technische Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Die Initiative geht allerdings von privater bzw. unternehmerischer Seite aus: Der Aschaffenburger Diplomingenieur Emanuel Freund, Teilhaber der Firma Freund & Cie, stellt am 14. April 1909 an die Gemeinde den Antrag, Masten in den Ortsstraßen aufzustellen und Drähte über die Straßen zu ziehen zur elektrischen Lichtanlage. Dieser Antrag wird zunächst zurückgestellt. Am 18. April 1909 allerdings lautet der Beschluss: Die Gemeindeverwaltung hat gegen elektrische Lichtanlagen von Privaten nichts einzuwenden. Jetzt ergreift auch die Gewerkschaft Gustav die Initiative. Am 2. Mai 1909 schließt sie mit der Gemeinde Dettingen einen Vertrag über die Aufstellung von Masten auf Gemeindeeigentum. Sie leistet für die Einräumung dieses Rechtes eine einmalige Zahlung von 500 Mark für die Zeit von
10 Jahren. Außerdem übernimmt sie die Installation von 4 elektrischen Lampen für die Dettinger Hippolytkirche. Am 11. Juli 1909 genehmigt der Gemeinderat für den Betrag von 925 Mark die Installation von 12 Lampen, vermutlich Straßenlampen.
Am 30. Oktober 1909 regelt die Gemeinde in einem Vertrag mit Dipl.-Ing. Emanuel Freund die näheren Bedingungen. Hier der Wortlaut:
1. Die Gemeinde Dettingen gibt an Freund die Konzession zur Errichtung eines Freileitungsnetzes in der Gemeinde Dettingen zwecks Abgabe elektrischer Energie für Licht und Kraftzwecke.
2. Freund wird gestattet, soweit dies für den Vertrag der Leitungen notwendig wird, Holzmasten auf gemeindlichem Eigentum aufzustellen und die Straßen in entsprechender Höhe zu überbrücken. Natürlich hat Freund die Vorschriften des Verbandes deutscher Elektrotechniker zu beachten.
3. Als maximale Strompreise werden festgesetzt:
- 50 Pfennig pro Kilowattstunde für Beleuchtung.
- 25 Pfennig pro Kilowattstunde für Kraftzwecke.
4. Die Elektrizitätszähler werden, soweit sie nicht in feste Rechnung übernommen werden, von Freund gegen eine monatliche Miete von 50 Pfennige gestellt.
5. Als Strombezugsquelle gilt die Zentrale der Gewerkschaft Gustav und es ist demgemäß Freund verpflichtet, sein zu errichtendes Niederspannungsnetz an die Überlandzentrale der Gewerkschaft Gustav mindestens auf die Dauern von 10 Jahren Strom abzugeben.
Die Gemeinde Großwelzheim schließt mit der Firma Freund & Cie zur gleichen Zeit einen ähnlichen Vertrag ab. Noch 1906 bis 1908 sind in den Großwelzheimer Rechnungsbüchern zwischen 15 und 20 Mark für das Anzünden der Straßenlaternen vermerkt. In der Gemeinderechnung des Jahres 1909 ist diese Dienstleistung immer noch enthalten. Adam Merget erhält eine Jahresvergütung von 10 Mark, Edmund Merget eine solche von 5 Mark. Aber erstmals werden für elektrischen Beleuchtungsstrom der Monate November und Dezember 1909 insgesamt 60,26 Mark bezahlt. Ob für Gebäude- oder Straßenbeleuchtung ist nicht ausgewiesen. In der Gemeindeversammlung vom 18. August 1910 genehmigen
41 Großwelzheimer und der Bevollmächtigte der Gewerkschaft Gustav 1000 Mark für eine elektrische Beleuchtungsanlage. 1911 bezahlt die Großwelzheimer Gemeinde 223,73 Mark für Strom zur elektrischen Beleuchtung und 30,60 Mark für die Beschaffung von elektrischen Glühbirnen. Für das Ein- und Ausschalten der Straßenlampen werden an N. Knichelmann und Adam Wieland jeweils 10 Mark bezahlt. 1913 kommen zu den genannten Kosten noch 6,30 Mark für das Reinigen der Straßenlaternen hinzu.
Zug um Zug wird es heller
Es ist anzunehmen, dass es in Dettingen und Großwelzheim bei der Aufschaltung der ersten Straßenbeleuchtung zu einem ähnlichen Jubel kommt, wie er andernorts, beispielsweise in Kleinostheim, herrscht. Jung und Alt lustwandeln damals auf den Straßen und sind stolz auf diese neue Errungenschaft. Die Bevölkerung geriet in einen wahren Freudentaumel heißt es in einem Zeitungsbericht vom Dezember 1909.
Mit dem Einzug der neuen Errungenschaft in Privathaushalte dauert es sicher länger. Während eine Familie für weniger als
2 Mark monatlich das nötige Petroleum für eine Petroleumlampe (ca. 6 Mark) kaufen konnte, musste sie für Glühlampe und Strombezug deutlich mehr bezahlen. Sparsamer Umgang mit dem Lichtstrom war notwendig und selbstverständlich. Für die Küche reichte in der Regel eine 15-Watt-Birne. Eine 25-Watt-Glühbirne beleuchtete die meist nur an Sonn- und Festtagen benutzte „gute Stube“. Ein Ortsbürger aus Großwelzheim trifft die Stimmung: Elektrisches Licht, wutsch an, wutsch aus, wirklich eine schöne Sache, aber teuer. Noch 1919 muss ein Industriearbeiter für zehn Stunden Licht aus einer 100-Watt-Glühlampe eine ganze Arbeitsstunde aufwenden, 1955 noch sechs Minuten. 1993 reichen dafür bereits 42 Sekunden. Elektrogeräte für den Haushalt konnten sich nur wenige leisten. Den ersten Radioempfänger in Dettingen besaß um das Jahr 1917 der Ortsbürger Andreas Wölfel.
Zug um Zug wird seit 1909 in Dettingen und Großwelzheim die Straßenbeleuchtung auf elektrisches Licht umgestellt. Kein Wunder, dass der kaufmännische Leiter der Gewerkschaft Gustav, Direktor Philipp Reissert, der in der eigens errichteten „Villa Reissert“ in der Dettinger Distriktstraße (heute: Hörsteiner Straße) wohnt, noch 1909 die Installation einer Lichtanlage in der Nähe seines Hauses bewilligt. Im Januar 1913 genehmigt der Gemeinderat elektrisches Licht für die Kirchgasse und eine Straßenlampe für die Haggasse. Die elektrische Versorgung der neuen Volksschule wird im März 1914 bis zum Einzug des Lehrpersonals zurückgestellt. Sie erfolgt 1915. Im gleichen Jahr erhalten weitere Ortsstraßen eine elektrische Beleuchtung. Am 15. März 1921 beschließt der Dettinger Gemeinderat den Kauf des Versorgungsnetzes von Dipl.-Ing. Freund für
80.000 Mark. Über die Entwicklung des Großwelzheimer Stromnetzes wurden im Archiv keine Unterlagen entdeckt. In Dettingen wird der Strompreis ab 1. August 1921 auf 25 Pfennig pro Kilowattstunde erhöht. 1932 stellt das RWE, das die Gewerkschaft Gustav 1928 erworben hat, die Stromerzeugung wegen Unwirtschaftlichkeit völlig ein. Strom wird jetzt aus dem Verbundnetz bezogen. Zwischen 1930 und 1946 besorgen Johanna und Franz Herzog (Licht-Fränzje) im Auftrag der Gemeinde Dettingen das Ablesen der Stromzähler und das Kassieren der fälligen Gebühren.
Bis 1971 bleibt Dettingens Stromversorgung in gemeindlicher Hand. Dann wird das elektrische Ortsnetz vor allem wegen der anstehenden hohen Investitionen für die notwendige Sanierung an das RWE verkauft. Großwelzheim gab das Ortsnetz 1969 an das RWE ab. Als Lichtableser fungierten nach 1945 zunächst Hermann Heßberger, dann Peter Heßberger (bis 1964), dann bis 1965 Elfriede Wohlfahrt und zuletzt Leonhard Götz.
Quellen:
Protokollbücher Gemeinderat Dettingen.
Karlsteiner Geschichtsblätter Nr. 9 und 10.
Bildarchiv des Geschichtsverein Karlstein
Richard Fuchs, Von der Gewerkschaft Gustav zum RWE, von der Braunkohle zum Strom.
In: Unser Kahlgrund 2000, S. 158 - 167.
Edmund Rücker: 1200 Jahre Großwelzheim, Dettingen 1972.